14. Juli 2014

Staudenwiesen im naturalistischen Gartenstil | Der Staudengarten Gross Potrems

Grade noch habe ich das Buch vorgestellt, in dem Jochen Wegner seinen Garten und das dahinterliegende Konzept präsentiert, da konnte ich diese Pflanzungen vergangene Woche schon mit eigenen Augen betrachten. Wer einen Garten besucht, der aus Büchern oder dem Internet schon bekannt erscheint, läuft immer Gefahr, enttäuscht zu werden. Manchmal stellt man sich einen Garten größer vor als er ist, oder malerischer in die Umgebung eingebettet und manchmal lügen natürlich auch die Bilder. Umso größer war meine Freude darüber, dass der Staudengarten in Gross Potrems die Stimmung von wogenden Wiesen und üppigen Staudenfluren nicht nur auf Bildern verspricht, sondern auch in der Wirklichkeit umsetzen kann - weshalb ich jetzt aus unendlich vielen Bildern ein paar aussuchen musste und das hier nun ein Monsterbeitrag wird.

Campanula, Stachys, Aconogonon, Cephalaria gigantea, Veronicastrum

Zum Garten muss man wissen, dass Jochen Wegner seit Jahrzehnten an seinem Garten feilt, unermüdlich Wildstauden aus allen Erdteilen zuerst im Internet sucht, dann aussät oder kauft und sie sogar in einem eigenen Beet testet, ehe sie in den wilden Garten entlassen werden, wo sie sich behaupten und bewähren müssen - zwischen anderen Stauden und auch gegen Spontanvegetation. Diese ist es nämlich, die, vor allem mit Gräsern, in diesem Garten nicht nur exisitieren darf, sondern ganz wesentlich zum natürlichen Eindruck der Pflanzungen beiträgt.

Lilium pardalinum, Nepeta kubanica, Ligularia

Damit Gras zwischen Stauden nicht zum Problem wird, müssen die Pflanzen jedoch gesund sein - und das klappt nur, wenn sie dem Standort entsprechend verwendet werden. Findet man diese Standorte und lässt man den Pflanzen anfänglich Platz, dann ertragen sie leichte Konkurrenz, genauso, wie das in Wiesen, Magerrasen oder in Sumpfwiesen der Fall wäre und es ist nicht notwendig, jedem Gräslein hinterherzujäten, sondern darf dort und da Sämlinge und Stauden, die den Wiesencharakter betonen, sich etablieren lassen.

Lockere Gräser lassen den Blick über den ganzen Garten schweifen

Im Wildstaudengarten gibt es zum Glück etliche Standorte, die vielfältigen Bewuchs erlauben: Trockene Bereiche am Haus, sonnige Flächen mit Sandboden, halbschattige Areale im Schatten und feuchte Böden rund um den Teich. Als verbindendes Element dient die freie Sicht, die in vielen Gärten ja absichtlich unterbrochen wird, um mit Gartenräumen Größe zu suggerieren. Hier wird die freie Fläche und der Blick über eine Fläche mit feingliedrigem Bewuchs dazu genutzt, das Gefühl einer Wiese zu vermitteln.

Blick über die Pflanzungen, unterbrochen nur von Gräsern

Zieht man diese Überlegungen konsequent durch, hat das auch Auswirkungen auf die Anordnung der Pflanzen. Höhenstaffelung, Gruppenpflanzungen und Einfassungen würden hier den Charakter stören und dürfen nur vorsichtig verwendet werden. Da wir das Vorbeigehen an hohen Stauden nicht gewöhnt sind und wohl als unangenehm empfinden würden, muss eine, dafür aber sanfte Art der Staffelung verwendet werden - wobei sich hier höhere Gräser besonders eignen, sowohl Raumeffekt als auch flirrende Leichtigkeit in die Beete zu transportieren.

Deschampsia, Helenium und Oenothera (und ein Fitzelchen Verbena hastata)

Dass manche Besucherinnen und Besucher hier gerne zu jäten beginnen würden, darauf weist Jochen Wegner schon in den ersten Sätzen zu seinem Garten hin. Ich denke, es müssten schon sehr blinde Personen sein, die diesen Reflex verspüren, denn dieser Garten ist so eindeutig kein gelecktes Beet-Ensemble und stattdessen üppige, sich sanft im Wind wiegende Natur, dass man das auch erkennen sollte, wenn man Staudenwiesen noch nie in natura gesehen hat.

Links Polygonum (oder Persicaria oder Aconogonon ;-)) weyrichii, Iris sibirica und weitere Stauden feuchterer Lebensräume

Der naturalistische Gartenstil, dem sich Jochen Wegner mit seiner Art des Gärtnerns verschrieben hat, ist keine neue Strömung. Noch bevor "Naturgärten" mit Bienenfutterpflanzen und Insektenhotels zu gesellschaftstauglichen Konzepten erhoben wurden, machten sich Staudenverwender Gedanken darüber, wie wir Menschen die Natur, von der wir uns ja laufend entfremdet hatten, wieder in unsere unmittelbare Nähe bringen konnten. Interessanterweise sind dabei Wiesen nicht nur die am ehesten umsetzbare Form, sondern auch die, die uns Menschen am stärksten anspricht. Auf der Homepage des Wildstaudengartens gibt es dazu einiges an zusammengetragener Literatur und wer sich noch weiter vertiefen möchte, dem lege ich Jochens Buch ans Herz.

Kalimeris, Echanicea, im Hintergrund Heliopsis

Eine Staudenwiese kann dabei ganz bunt sein, oder nur aus wenigen Arten bestehen - auf jeden Fall aber wiederholen sich die Pflanzen, sie sind nicht in gleichen Abständen zueinander angeordnet und sie werden meistens in Drifts angeordnet, in länglichen Gruppen, die im Betrachter das Gefühl von Zufälligkeit und natürlicher Ansiedlung entstehen lassen. Klappt das, dann ist diese Illusion gut gelungen - und die oft sehr detaillierte Planung von Erfolg gekrönt.

Ligularia przewalskii und Sanguisorba, ich vermute mal. officialis 'Pink Tanna'.

Weil ich den naturalistischen Gartenstil zwar außerordentlich schätze, aber meine Art der Gartengestaltung doch (noch?) zu sehr im kompositorischen Bereich der Gestaltung verhaftet ist, war ich im Garten auf der Suche nach Kombinationen, die sich auch in herkömmlichen Beeten verwenden lassen. Von den vielen Funden, die ich dabei gemacht habe, hat mich die Verpartnerung von Ligularia przewalskii und einem rosa Sanguisorba, dessen Namen ich leider vergessen habe; vermutlich ist es S. officinalis 'Pink Tanna', besonders beeindruckt.

Iris sibirica, Eupatorium purpureum, Deschampsia cespitosa und eine grünblättrigen Funkie - hier treffen große Blätter auf feines Laub, eher plumpe Blüten auf flirrende Wolken und später noch Dolden auf feines Gras; alles in allem also eine sehr haltbare, über das ganze Jahr hinweg ansprechende Gruppe.

Veronica longifolia vor Darmera peltata, links im Hintergrund rosa Filipendula, der Trick sind hier die aufstrebenen Kerzen, die im Kontrast zu den großen, horizontalen Blättern stehen. Kerzen sind generell gut geeignet, in ruhigen, harmonischen Pflanzungen wie einer Wiese für Aufsehen zu sorgen, weil sie aus der Umgebung aufragen.

Echinops ritro mit Verbascum chaixii - beides Wildstauden, aber die Kombi könnte im edelsten Blau-Weiß-Beet eines formalen Gartens ebenso bestehen, so kraftvoll ist sie. Zu ihren Füßen, man sieht grad noch ihre "Ohren", steht die Spornblume, Centranthus ruber und links schließt eine Stockrose an. Alle vier kommen mit Trockenheit und Hitze gut zurecht und könnten an Hausmauern oder Mauerkronen gehalten werden.

Der Blick über den Teich wird sich bald wandeln, hier ist es im Gegensatz zum restlichen Garten recht einheitlich grün und dort, wo das Schildblatt steht, könnten so viele schöne Wildstauden, die jetzt im Sommer blühen, einen neuen Platz finden. Aber warum sollte es jemanden mit Staudenwiesen anders gehen als uns! :-)

Wie jeder schöne Garten sind auch die Staudenwiesen nie fertig, denn Gärten beeindrucken - und hier liegt der Unterschied zu Staudenfluren in der Natur - nur dann, wenn sie die Illusion von Natur perfekt beherrschen. Und würde man sie sich selbst überlassen, würden sich einige wenige Pflanzen durchsetzen und die Wirkung wäre dahin. Insofern ist auch eine Staudenwiese ein Beet, eine sorgsam kombinierte Border - auch wenn ich hier mit Jochen durchaus diskutiert habe ;-). Unbestreitbar ist, dass sein Garten viel weniger Arbeit verlangt als eine gestaffelte Border. So schneidet er die Beete alle im Spätwinter maschinell zurück und verbrennt den Schnitt; Rückschnitte während der Vegetationsperiode, auch wenn sie wie im Fall der Rittersporne eine Nachblüte provozieren würden, werden mit Absicht unterlassen.

Blick über den Teich zurück zu den Pflanzungen auf trockenem Boden

Den "Wieseneffekt" fotografisch festzuhalten, ist mir nicht im erwünschten Ausmaß gelungen. Tatsächlich wiegen sich die Gräser ständig im Wind und verschmelzen, da sie in vielen Beeten verwendet werden, zu einem wogenden Teppich, der einzelne Staudengestalten, je nachdem, wo man gerade steht, besonders hervortreten lässt. Daher kann man stundenlang durch den Garten wandern und findet doch immer wieder  neue Ansichten, was auch am Lichteinfall liegt, der sich durch die vielen Nachbarbäume und das Haus ständig wandelt und den Fokus auf neue Stauden legt.

Echinacea vor Nepeta und Lychnis calcedonica / Lilium pardalinum mit der Julisilberkerze (Actaea/Cimicifuga racemosa var. racemosa) vor Ligularien / Ligularia przewalskii, Sanguisorba und Persicaria amplexicaule

Samenstände und trockene Stängel, wie hier vom Geißbart, dürfen stehenbleiben und bilden jetzt im Juli, wo alles noch grünt und blüht, einen reizvollen Gegenpart; reihen sich aber gleichzeitig vom Charakter her in die Formen- und Farbenpalette der Gräser ein und passen so aus einigen Perspektiven ganz hervorragend.

Die Gespräche im Garten über den Garten und über unsere Absichten und die Art, einen Garten zu gestalten und auch, wie er genutzt wird, waren für mich interessant und inspirierend. Einige habe ich schon notiert, um im Winter Stoff für Debatten und kontroverse Blogposts zu haben! Was ich an mir schon festgestellt habe, ist mangelnde Konsequenz in der Gestaltungsrichtung. So hat Jochen festgestellt, dass er im April im Garten viel mit Umpflanzarbeiten und Aussaaten beschäftigt ist und für die Betrachtung winziger Blüten und niedlicher Schattenstauden keine Zeit hat. Deshalb baut er den Frühlingsaspekt kontinuierlich zurück, um den so gewonnenen Platz für Sommerstauden nutzen zu können. Hepatica gegen Geranium? Brunnera gegen Hosta? Alleine der Gedanke überfordert mich, aber die klare Wirkung seiner Beete gibt ihm Recht.

Die riesigen Ligularien entlang des Steinwegs, der am efeubewachsenen Haus entlangführt, haben mich schon seit Jahren auf Bilder fasziniert. In Echt sind sie dann noch eine Spur beeindruckender, weil sie so riesig sind! Viel größer als ich jedenfalls. Und so begehrenswert, denn mit feuchtem Boden kann ich hier nicht dienen.

Worin ich ihm auch noch uneingeschränkt beipflichten muss und wer die Bilder aufmerksam betrachtet hat, der weiß, was jetzt kommt: Keine Deko im Garten, nicht ein einziges Element, nicht mal ein Stück Holz! - und keine Rosen. Also generell keine Gehölze in Beeten, weil das ja Wiesen sind, aber eben auch: Keine Rosen. Weil die einfach nicht passen. Und weil ein Garten auch ohne ihnen schön sein kann. Und wie.

Dieses Gras am Teich hat sich von selbst eingefunden und fügt sich harmonisch ins Gesamtbild der Anlage ein.

Ihr merkt schon, mir hat der Besuch sehr gefallen. Das liegt nicht nur am Garten, sondern auch an Gabi und Jochen Wegner, die mich so gastfreundlich empfangen und mir das Land gezeigt und vieles erklärt haben. Wer mal in die Richtung kommt, sollte natürlich alle Produkte probieren, die Gabi Wegner aus der Ernte ihres beeindruckenden Gemüse- und Obstgartens zaubert - dieser liegt auf einem anderen Grundstück und ich hatte meine Kamera nicht mit, was gut war, weil ich so beide Hände frei hatte zum Ernten, aber auch ärgerlich, weil ich euch hier jetzt nicht die riesigen Johannisbeeren und die Brombeerenplantage zeigen kann - aber ganz besonders empfehlen würde ich euch das Holunderblütengelee! Denkt dran :-)

Update: Danke an Jochen für die Verbesserungshinweise, die ich nun mit endloser Verspätung endlich eingetragen habe!

4 Kommentare:

  1. Hallo Katrin,
    danke für den interessanten Bericht und die vielen Bilder zu diesem schönen naturalistischen Garten. Ich bin schon öfter staunend vor den Bildern von Jochen und Gabi Wegner gesessen. Einfach phantastisch.
    Viele Grüße von Renate

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  2. Hallo Katrin,

    da hast Du ja einen schönen Bericht über meinen Garten verfaßt, und die Bilder sind, wie immer von Dir, sehr schön fotografiert. Wie Du selbst die dunkelbraunen Blütenreste des Aruncus noch in schönstem Licht abgebildet hast!?
    Viel zu schnell sind die drei Tage, die du hier warst, vergangen. Jetzt fällt mir noch soviel ein, was ich mit Dir zur Gartengestaltung und zu bestimmten Pflanzen diskutieren wollte, um Deinen Rat bitten wollte. Ein wenig bin ich traurig das Du schon wieder weg bist und trotzdem waren es wohl die schönsten Tage dieses Sommers auch wenn da noch Hundert andere Staudenfreunde kamen und kommen.

    Liebe Grüße,
    Jochen

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  3. Oh mein Gott!
    Du hast Dir eine Wahnsinnsarbeit mit diesem Posting gemacht. Wunderschöne Fotos und ein toller Text dazu. Man kann sofort erahnen, was hinter diesem Garten steckt. Hammer!
    Motiviert mich grad auch so ein bisschen zu mehr Staudenbeeten im GArten.
    LG Bine

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  4. Hallo Katrin, freut mich, daß Dich Jochens Garten genauso verzaubert hat wie mich und sicherlich etliche andere auch. Über Gartenstile zerbreche ich mir (noch) nicht so sehr den Kopf. Deine Fotos geben sehr schön den "Wilsstaudenzauber" wieder! Gruß - Tobias

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