21. Oktober 2014

Letzte Blüten

Vom feuchten Spätsommer geht es mit einem kurzen Herbst eindeutig Richtung Winterhalbjahr. Weil es noch keinen Bodenfrost gab, blühen noch einige Pflanzen, aber aufgrund der Feuchtigkeit sind es nicht sehr viele und im Vergleich zu den letzten Jahren wird der heurige Herbst sicher nicht als farbenfrohe und bunte Ausgabe in die Geschichte eingehen. Das liegt vor allem am nassen Spätsommer - im August gab es an 26 der 31 Tage Niederschlag -, der viele Stauden kippen ließ und einen frühen Rückschnitt matschiger und ohnehin am Boden liegender Pflanzen erforderte. Die vergangenen windigen Tage und die Prognosen für die nächste Zeit lassen auch für die nähere Zukunft auf keinen goldenen Herbst hoffen, weshalb ich mich eigentlich schon mehr auf den Winter freue.

Eine Walzenwolfsmilch, deren Namen ich leider verloren habe. Sie trotzt nun schon mehreren Wintern und entwickelt sich zu einer immer schöneren Pflanze. Die Leucanthemellas in der Mitte sind wunderschöne Pflanzen für den Spätherbst. Ihr reines Weiß leuchtet weithin und sie sind - außer, wenn es sehr trocken ist - kaum im Wuchs zu bremsen. Im Gegensatz zu Margeriten ist ihre Mitte grünlich, was sie einen Tick weniger leuchten lässt. Meine Lieblingspflanze ist noch immer der Staudenknöterich. Seit Juni blühen meine Exemplare unermüdlich und locken noch immer verschiedenste Insekten an. Wenn es Ende der Woche wirklich friert, wird es aber mit der Pracht vorbei sein.

Empfehlenswert für alle, die in diesem Farbschema bleiben möchten, ist auch die Boltonia asteroides var. latisquama 'Snowbank', eine Asternverwandtschaft mit silbernem, sehr aufrechtem Wuchs und vielen kleinen weißen Blütchen. Für Fans morbider Farben empfiehlt sich Salvia 'Amber', wobei meine Pflanze heuer irgendeinen Pilz bekommen und fast ihr ganzes Laub verloren hat. Das Gras, das in meinem Staudenbeet von selbst erschienen ist, wurde von einem Bekannten als Schilf identifiziert. Aha, darauf wäre ich ja nie gekommen. An Land wächst es recht geziemt und darf daher bleiben.

Die Leucanthemelllas zusammen mit Resten von Sanguisorba und Helianthus salicifolius, das traditionell zur Blüte umgekippt ist. Leider wächst unter all diesen Pflanzen Giersch und mir steht eine längere Jätaktion bevor, vielleicht mal im Winter, wenn es das Wetter zulässt.

Das Kiesbeet ist um diese Jahreszeit noch immer einer schöner Anblick. Ich mag die verwelkten Brauntöne der Nachtkerzen und dazwischen die Farbtupfer von Färberkamille und Astern.

Sobald die Sonne auftaucht, leuchten die letzten Blätter der gelben Taglilie, die sich dort ausbreitet und auch das Stipa gigantea, das in unseren Wintern immer leidet, hat sich heuer gut entwickelt. Falls die Buchse doch noch mal den Zünsler kriegen - sie sind beeindruckend widerstandsfähig - freue ich mich, diesen Beetteil um weitere Kiesbeetpflanzen ergänzen zu können und vor allem den Iris wieder Licht zu verschaffen.

Der riesige rote Knöterich, den ich letztens schon vorgestellt habe, hat absolut überdimensionale Ausmaße erreicht -  ich habe ihn erst diesen Frühling gepflanzt! Falls er den Winter nicht schafft, werde ich wohl einen neuen pflanzen, bei dem Eindruck, den er vor allem gegen Ende es Jahres macht.

Lasst euch nicht wegwehen! Ich werde den vorläufigen Schlechtwettereinbruch abwarten und bin schon gespannt, was sich danach im Garten noch sehenswert präsentieren wird.

11. Oktober 2014

Weich und wollig, glatt und rau - Die unwiderstehliche Haptik der Pflanzen

Mit feinen Haaren besetzt und dick und mit warmem Widerstand, wie die noch nicht in die Länge gewachsenen Ohren von ganz jungen Kaninchen - so erscheint mir das Laub des Wollziests und an diese Eindrücke muss ich denken, wenn ich Stachys byzanthina lese - auch wenn der Name an Orient erinnern könnte, die Eindrücke meiner Fingerspitzen stehen darüber, sie lassen keinen anderen Gedanken zu als den an Hasenohren.

Begonia grandis var. evansiana

So geht es mir mit vielen Pflanzen. Bei Geranium streife ich über die frischen Blattbüschel, die dann etwas streng duften, bei Sedum denke ich an die glatten, bei unsanften Berührungen quietschenden Blätter, bei Pflanzen mit kerzenförmigen Blütenständen muss ich diese durch die offene Hand gleiten lassen um mich ihrer Form zu vergewissern und bei Schattenstauden faszinieren mich ihre festen, oft fast ledrigen Blätter, die von so robuster Konsistenz sein müssen, weil sie eine ganze Saison lang durchhalten müssen.

Stipa tenuissima
 
Viele Farne tragen festes Laub, ihre Unterseiten mit den Sporenkapseln aber sind weich und wie mit Wolle besetzt. Unzählige Stauden treiben Blütenknospen, die mit feinen Härchen bewachsen sind, die immer an Tiere erinnern; Akeleien etwa, weich wie die Stelle knapp oberhalb einer Katzennase, oder Knospen von Papaver orientale - mit festen, borstigen Haaren, wie der Rücken eines halbwüchsigen Ferkels. Die Samenkapseln von Paeonien hingegen, wie mit Filz bewachsen und fest, gleich dem ganz kurzen Fell am Nasenrücken eines Pferdes.

Epimedium stellulatum 'Wudang Star'

Diese Eindrücke habe ich unbewusst schon immer gesammelt, sie bei jeder neuen Pflanze durch mehrmaliges Betasten verinnerlicht und liebgewonnen wie den Duft einer Blüte oder den Anblick einer schönen Farbe. Wannimmer ich Pflanzen begegne, sehe ich sie nicht nur an, sondern berühre sie: Auch zarte Blüten, wie die der Elfenblumen, die sich wie ein Lufthauch anfühlen und beinahe nichts wiegen, ganz im Gegensatz zu wuchtigen, schweren Erscheinungen wie die von Iris oder Mohn, bis hin zu luftigen, raumerfüllenden Wolken wie den Samenständen von Gräsern, die man von den Fingerspitzen bis zu zum Ellbogen überstreifen kann und wie wenig Widerstand bieten, wenn sie im Wind wogen und stabiler sind, wenn sie aufrecht stehen wie die von Panicum oder glatt und fest zusammenlegbar sind wie die von Miscanthus und unterhalb der Faust, wenn man sie durch die geschlossene Hand streift, wieder ihre Form einnehmen.

Paonia

Außerdem können Blätter mit Wachsschichten belegt sein, mit mehliger Substanz überpudert oder von gesunder Straffheit durchströmt; andere sind schlaff, weitere zur Sonne ausgerichtet, andere an die Stängel gebogen. Ich würde sogar so weit gehen, dass sich der Charakter einer Pflanze, wie sie sich in einer Pflanzung präsentieren wird - also aufrecht, Blicke auf sich ziehend oder lagernd, sich einfügend oder aus den anderen Stauden erhebend - bis zu einem gewissen Ausmaß erfühlt, oder zumindest als ergänzender Hinweis und als Entscheidungshilfe als weiterer Eindruck herangezogen werden kann.

All diese Gedanken habe ich aber erst entwickelt, als ich diesen Sommer von Jochen Wegner belustigt darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich andauernd Stauden anfassen würde. Die Blüten einer Deschampsia ertappt in den Händen haltend habe ich den ganzen Sommer auf meine Hände geachtet und was sie mit Pflanzen tun. Tatsächlich fingern sie ständig in Laub herum, stupsen Blüten an, streifen durch taunasses Laub, langen in reife Komposterde, fangen Würmer, berühren Maulwurfsgrillen, betasten Skabiosenblüten, genießen die feste Konsistenz von verheißungsvoll gut entwickelten Hepaticatriebknospen, prüfen die raue Rinde von Bäumen und ärgern sich und den anhängenden Körper, wenn sie in Brennnesseln fassen.

Palmenart im BOGA Berlin

Aber nicht nur ich, auch andere Gärtnerinnen und Gärtner haben solche Hände, die sich ständig in den Pflanzungen bewegen, Samenstände kneten, Gräser kämmen und kleine Austriebe prüfend zwischen Daumen und Zeigefinger halten und - ich freu' mich immer, wenn das passiert - bei Beratungsgesprächen die Pflanzen halten, mit ihnen gestikulieren, sie im Falle von duftenden Bestandteilen unter meine Nase halten und beim Verkauf noch einmal kurz anstreifen.

Pflanzen gerne zu berühren, ist für mich ein Zeichen, dass man sie mag, dass man sie schätzt, keine Distanz aufbaut und sich gerne mit ihnen umgibt. Und nicht zuletzt ist das alles auch einfach erklärbar, mit haptischen Typen und besserer Merkfähigkeit, wenn alle Sinne genutzt werden, und mit verschiedenen Kanälen, wobei die Haptik bei manchen besonders ausgeprägt ist, wohingegen bei anderen das bloße Anschauen reicht, damit eine Staude erkannt wird - völlig wissenschaftlich also.

Peltoboykinia watanabei

So zerlegt, ist mein Impuls eigentlich nicht mehr wirklich rätselhaft - bis auf den Umstand, dass die Haptik und damit die genaue Information zur textuellen Beschaffenheit von Pflanzen nichts ist, was zu normalen Beschreibungen dazugehört. Ich selber sage es auch nicht oft dazu, es ist so etwas wie eine Metaebene der Pflanzenbeschreibung, ein Eindruck, der mit einem Pflanzennamen mitschwingt, so wie die Hasenohren beim Stachys. Oder - und ich habe mich wirklich gefreut, als ich mal einen ausgegraben habe - die Hundszähne, die wie ein gefletsches Gebiss im Boden liegen. Es gibt noch mehr von diesen Pflanzen mit Haptiknamen... wenn man bloß darauf achtet.