Weil wir im Winter zahlreiche Gartenkataloge wälzen und uns viel theoretisch mit Pflanzen beschäftigen, habe ich nun einmal einen sehr wissenschaftlich-theoretischen Blogbeitrag geschrieben, den ich schon länger geplant habe. Kritische Stimmen, Widerstände und abweichende Denkanstöße sind gern gesehen und erwünscht!
Wenn man sich näher mit Pflanzen beschäftigt, wird man früher oder später mit der Tatsache konfrontiert werden, dass Pflanzen nicht nur unterschiedlich aussehen, verschiedene Ansprüche haben und mit ganz voneinander abweichenden Techniken gepflegt werden wollen, sondern auch alle eigene, mehrteilige Namen tragen, jedes kleine Kraut am Weg ebenso wie jede Zimmerpflanze, jede Rose oder jede Tomate (wie auch jede Mücke, jeder winzige Nachtfalter und jede Nutztierrasse).
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Verschiedene Blüten, aber trotzdem alles Iris? Deswegen braucht man Sortennamen, gerade bei Pflanzen, die nur kurz blühen und während des restlichen Jahres kaum zu unterscheiden sind. |
Wie funktioniert nun die Benennung von Pflanzen?
Die heutige Nomenklatur - das System zur Benennung von Lebewesen - stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und wurde, basierend auf bereits bestehenden Systemen, von Carl von Linnè eingeführt. Darin besitzt jedes Lebenwesen, und damit auch jede Pflanze, einen zweiteiligen Namen: Gattung (Geranium) und Art (phaeum). Im Original gehören noch der Name des Autors mit Kürzel dazu und wenn man es genau nimmt, werden die beiden Bezeichnungen kursiv geschrieben:
Geranium phaeum. In der Regel werden diese genauen Vorschriften aber nur in wissenschaftlichen Werken eingehalten. Wir sollten uns nur merken, dass man den Gattungsnamen (Geranium) groß schreibt und den Artnamen (phaeum) klein.
Hierarchisch geht es oberhalb noch weiter, für uns interessant ist noch die Familie (
Geraniacea = Geraniumartige) Familienzugehörigkeiten sind interessant, wenn es um Vermehrung, Aussaat und Wuchsverhalten geht, oft aber gehören zu einer Pflanzenfamilie so viele verschiedene Vertreter, dass es schon wieder nicht mehr so hilfreich ist, ihre Verwandschaft zu kennen (Rosen und Erdbeeren gehören etwa beide zur Familie der
Rosaceae, was man an der Blüte gerade noch so erkennen kann, uns aber sonst nicht sehr viel weiterbringt, außer, wir sind sehr interessiert).
Steht hinter dem zweiteiligen Pflanzennamen nun noch ein weiterer, etwa 'Samobor' (unbedingt mit einfachen Anführungszeichen), so handelt es sich um einen Kultivar. Hier gehen die wissenschaftlichen Meinungen bereits auseinander, denn es muss sich dabei um eine in Gartenkultur befindliche und vom Menschen ausgelesene Reihe von Pflanzen handeln, die gleich aussehen und sich in erheblichem Maß von der Urform unterscheiden. In der Praxis, und nur das muss uns Pflanzenliebhaber kümmern, bekommen einzelne Fundpflanzen, die besondere Merkmale aufweisen, bereits dann einen Sortennamen, sobald sich herausstellt, dass sie in ihrer Form vermehrt werden können. Beim genannten Beispiel Geranium phaeum 'Samobor' handelt es sich um eine dunkelblättrige Variante von Geranium phaeum, die in Kroatien im Ort Samobor gefunden wurde.
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Bei vielen Geraniumarten der Art x oxonianum (Hybriden zwischen G. endressii und G. versicolor) ist nicht mehr klar, ob es sich um die ursprünglichen Sorten handelt oder aus Versehen Sämlinge verkauft wurden. Daher sollte man solche Geranium, wenn man sie im Garten findet, immer als "Sämlinge" bezeichnen und nicht unter dem Namen der Eltern weitergeben. |
Wichtig ist, dass man Sämlinge von Pflanzen mit Sortennamen nicht mehr wie das Elternteil nennen darf, da unklar ist, welche weiteren Arten an der Kreuzung beteiligt sind. Würde man diese Sämlinge unter dem gleichen Namen weiterverbreiten (selbst wenn sie auf den ersten Blick genauso aussehen), könnten die ursprünglich die Sorte auszeichnenden Merkmale (kleinerer Wuchs, größere Blüten, besondere Winterhärte...) verlorengehen und niemand würde sich mehr auskennen. Leider ist das schon bei vielen Pflanzen passiert, im schlimmsten Fall gehen so Sorten verloren oder man bekommt, je nach Quelle, unter ein und dem selben Namen fünf verschiedene Pflanzen.
Artnamen geben in fast allen Fällen eine Information weiter. Da diese
aber, wie auch der Gattungsname, in lateinisch oder griechisch
daherkommt, erscheinen uns viele dieser Namen willkürlich, dabei wäre es
oft sehr hilfreich, wenn man sie verstünde: So weist bei Geranium
palustris der Artname auf den feuchten Lebensraum hin (palustris - im
Sumpf wachsend), bei Geranium pratense auf das Vorkommen der Art in
Wiesen und oft entstehen sehr poetische Kombinationen, wie bei Lunaria
rediviva, die wörtlich übersetzt "wieder auferstandene Mondpflanze"
heißt, wogegen der deutsche Name "Silberblatt" ziemlich an Eindruck
einbüßt (der Name kommt daher, dass diese Mondviole im Gegensatz zur
zweijährigen Art jahrelang ausdauert, also jeden Frühling wieder
"aufersteht").
Wer sich näher mit den Bedeutungen der Artnamen beschäftigen möchte, kann sich
hier auf einer Liste mit vielen gängigen Artnamen und deren Übersetzung umsehen.
Einen weiteren Link
empfehle ich bei kniffligen Beispielen mit Unterarten und seltsamen
Abkürzungen im Pflanzennamen - ich möchte an diesen Stelle nicht alle
Ausnahmen anführen, da es sonst schnell verwirrend wird und
komplizierter wirken würde, als es ist.
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Bei Hosta 'June' kann man keine Art mehr zuordnen. Monbretia x crocosmiflora 'Luzifer' ist eine Hybride (das zeigt das x im Namen und alle Kreuzungen, die diese Eltern haben, heißen crocosmiflora) mit sehr klingendem Namen, ähnlich wie Anthriscus sylvestris 'Raven's Wing'. |
Bei Pflanzen, die schon sehr lange züchterisch bearbeitet werden und wo bei den einzelnen Sorten nicht mehr ganz klar ist, welche Arten die Eltern sind, wird die Artbezeichnung im gesamten Namen ausgelassen, wie etwa bei den meisten Hosta (Hosta 'June', im Gegensatz zu Hosta montana 'Aureomarginata', wo man die Art noch genau weiß). Sortennamen sind übrigens kaum einer Regel unterworfen, sie können kreativ (Solidago 'Hiddigeigei') oder auch seltsam (Hepatica
transsylvanica 'Blumenstadt Erfurt'), einprägsam (Monbretia x crocosmiflora 'Luzifer') und herrlich mystisch (Anthriscus sylvestris 'Raven's Wing') sein. Viele erhalten die Namen der Entdecker, deren Frauen, Männer, Kinder und Lieblingsfilmfiguren oder aber auch den Fundort der Pflanze.
Und was hat das alles mit mir zu tun?
Wenn man neu damit in Berührung kommt, erscheint einem dieses System sehr komplex, verwirrend und vor allem: unnötig. Ich war anfangs erschrocken und kurz war mir die Freude an den Pflanzen verdorben, denn ich konnte keine mehr korrekt benennen und mich störte die Enge des Systems - hier war kein Platz für "sieht aus wie xy, aber mehr rosa und mit größeren Blättern" und nette Namen wie "Schlüsselblume" und "Löwenmaul" blieben völlig unerwähnt.
Mit deutschen Namen geht es solange gut, wie man mit Nachbarn gärtnert, Ableger freudig annimmt und einfach vorsichhingrünen lässt. Wehe aber, man sucht etwas Bestimmtes! In der analogen Welt der Bücher braucht man den botanischen Namen, um in Lexika nachschlagen zu können. Zwar gibt es Werke, die auch deutsche Namen führen, aber es gibt viele deutsche Namen, die mehrfach vergeben wurden.
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Märzenbecher, Schneeglöcken und Osterglocke oder Schneeglöckchen, Echtes Schneeglöckchen und Märzenbecher oder Frühlingsknotenblume, Schneeglöckchen und Narzisse? Leucojum vernum, Galanthus nivalis und Narcissus-Hybride! |
Mein Lieblingsbeispiel dazu ist die Narzisse. Sie wird in Deutschland mancherorts als Osterglocke bezeichnet; in Österreich dagegen nennt man sie Märzenbecher. Gebe ich nun Ableger unter diesem Namen weiter und die Person recherchiert danach in verschiedenen Medien zu dieser Pflanze, so wird sie fast ausschließlich Bilder von Frühlingsknotenblumen finden (Leucojum vernum). Diese aber werden in Österreich Schneeglöckchen genannt, während Galanthus nivalis als "Echte Schneeglöckchen" bezeichnet werden ("Narzisse" heißen in Österreich übrigens nur die wilden Dichternarzissen, Narcissus poeticus).Wie soll man sich da auskennen, wenn es keine international gültigen Bezeichnungen gibt?
Richtig schwierig wird es dann, wenn umfangreiche Gattungen mit vielen Arten ins Spiel kommen. So ist es bei vielen bekannten Gattungen wie den Storchschnäbeln, Iris, Helleborus und auch bei Katzenminzen fast unmöglich, ohne Art- und Sortennamen genau die Pflanze zu erhalten, die man möchte. Und dann erst das Chaos bei den unzähligen Pflanzen, die gar keine deutschen Namen besitzen, weil sie zu selten kultiviert werden oder erst neu entdeckt wurden!
Wer schon einmal Pflanzen im Ausland bestellt hat, wir die lateinischen Namen zu schätzen wissen, denn man muss der Sprache nicht mächtig sein, um dänische Pflanzenkataloge nach Wunschpflanzen zu durchforsten. In Zeiten des Internets ist es zudem kein Problem, wenn man auf unbekannte Namen trifft, denn man kann googeln oder in Foren nachfragen - irgendwer weiß immer Bescheid.
Ärgerlich ist das ganze Thema nur, wenn man frisch daran herantritt und von der schier unglaublichen Menge an Namen, die nochdazu alle fremdartig klingen, fast erschlagen wird. Dann sollte man einfach versuchen, Schritt für Schritt die botanischen Namen mitzuverwenden, manchmal die Etiketten der Pflanzen neu zu lesen oder in Gartenbüchern auch die kursiven Namen mitlesen. Mit der Zeit weiß man ganz von alleine, wie nun etwas heißt. Wenn es dann ans Gespräch mit Gärtnerinnen und Gärtnern geht, sollte man keine falsche Scheu aufkommen lassen, sondern einfach drauflosreden. Ein Problem kann nämlich auch die Aussprache sein, aber ohne fragen wird man nie wissen, ob man nun Hellebòrus oder Hellèborus sagt ;-) (letzteres).
Ich hoffe, ich habe euch mit dem Beitrag nicht erschreckt, sondern die Sinnhaftigkeit der botanischen Benennung nähergebracht. Bei Fragen bitte einfach drauflosschreiben!